Ärztliche Kunstfehler können mitunter schwerwiegende Konsequenzen haben – sowohl für Patienten und Patientinnen als auch für die behandelnden Ärzte und Ärztinnen, denen möglicherweise zivil- und strafrechtliche Verurteilungen drohen. Ein solcher Kunstfehler oder Behandlungsfehler liegt in der Regel vor, wenn bei einer medizinischen Diagnose oder Behandlung nicht die zu diesem Zeitpunkt geltenden fachlichen Standards berücksichtigt werden. Zu den häufigsten Gründen für strafrechtliche Ermittlungen gegen Ärzte und Ärztinnen zählen fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung im Zusammenhang mit solchen Fehlern. An dieser Stelle geben wir Ihnen einen kurzen Überblick darüber, wann Kunstfehler für das Arztstrafrecht relevant sind, was Ihnen als Arzt oder Ärztin strafrechtlich vorgeworfen werden kann und wie Sie sich dagegen wehren können – auch in Hinblick auf Ihre Approbation und Ihr Ansehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ärztliche Kunstfehler können zivilrechtliche und strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.
- Für die Strafbarkeit muss das Verschulden des Behandlers nachgewiesen werden.
- Sorgfalt und lückenlose Dokumentation können strafrechtliche Vorwürfe abwehren.
Rechtliche Grundlagen und Tatbestände
Die Grundlagen für die Strafbarkeit bestimmter ärztlicher Kunstfehler finden sich im Strafgesetzbuch. Gemäß § 223 StGB begeht eine Person eine Körperverletzung, wenn sie eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Darüber hinaus gibt es den Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB, der sich durch fahrlässiges Verursachen der Körperverletzung auszeichnet und milder bestraft wird. Das fahrlässige, also unbeabsichtigte oder unvorsichtige, Verletzen wird vom vorsätzlichen, also willentlichen oder wissentlichen, Verletzen unterschieden. Auch bei Tötungsvorwürfen hat diese Unterscheidung große Bedeutung. Ärzten und Ärztinnen, deren Beruf auf die Heilung von Menschen ausgerichtet ist, wird ein solcher Vorsatz nur in seltenen Ausnahmefällen vorgeworfen.
Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Einwilligung der Patienten und Patientinnen. Grundsätzlich stellen die meisten ärztlichen Behandlungen auch Körperverletzungen dar, besonders gilt dies bei chirurgischen Eingriffen. Allerdings sind diese bei zuvor ausgedrückter Einwilligung der Patienten und Patientinnen, für die auch eine Aufklärung über die Behandlung erforderlich ist, nicht strafbar – sofern der Eingriff kunstgerecht durchgeführt wurde. Dies ist auch für die Strafbarkeit ärztlicher Kunstfehler relevant, denn auch unbeabsichtigte Folgewirkungen einer Operation erfüllen nicht unbedingt den Straftatbestand der Körperverletzung, wenn der Patient bzw. die Patientin zuvor über deren Möglichkeit aufgeklärt wurde und mit diesem Wissen in die Behandlung eingewilligt hat.
Grundsätzlich ist das Medizinstrafrecht vom Zivilrecht abzugrenzen, das Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche klärt. Anders als bei zivilrechtlichen Haftungsfragen steht im Strafrecht im Mittelpunkt, inwieweit der Arzt oder die Ärztin den erlittenen Schaden oder Tod des Patienten oder der Patientin unmittelbar verschuldet hat und in diesem Zusammenhang gilt vor Gericht der Satz: Im Zweifel zugunsten des oder der Angeklagten.
Häufige Szenarien und Beispiele für ärztliche Kunstfehler
Es gibt eine große Vielzahl von möglichen ärztlichen Kunstfehlern, von denen allerdings nur die wenigsten tatsächlich strafrechtlich relevant sind. Darüber hinaus ist es nicht unbedingt ein ärztlicher Kunstfehler, wenn die von einer Behandlung erhoffte Heilung ausbleibt. Solche Kunstfehler beziehen sich stattdessen in der Regel auf das ärztliche Vorgehen bei der Behandlung, das Einhalten der Sorgfaltspflicht und das Einhalten anerkannter Standards. Die folgenden Fälle von Fehlbehandlungen sind relativ typisch und können strafrechtlich relevant sein:
- Diagnostikfehler: Ein Arzt oder eine Ärztin übersieht bspw. in einem Röntgenbild bei einer Vorsorgeuntersuchung deutlich und zweifelsfrei erkennbare Anzeichen für einen Tumor in einem noch gut behandelbaren Stadium, da er oder sie sich das Röntgenbild nur kurz und zu oberflächlich angesehen hat. Die erforderliche Behandlung bleibt durch den Diagnosefehler aus. Je nach weiterem Verlauf können hier fahrlässige Körperverletzung oder gar fahrlässige Tötung im Raum stehen. Für eine mögliche Strafbarkeit ist erforderlich, dass die Fehldiagnose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für den Schaden ursächlich war, was in der Praxis oft aufwendig geklärt werden muss.
- Operationsfehler: Auch Operationsfehler sind nur bei nachweisbaren Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht oder geltenden Standards widersprechenden Operationsverfahren sowie einer direkten, nachweisbaren Verursachung des Schadens durch diese Fehler strafbar. Dies kann der Fall sein, wenn ein Chirurg oder eine Chirurgin den falschen Fuß amputiert, weil er oder sie die Patientenakte nicht mit der gebotenen Sorgfalt gelesen hat. Auch wenn Operationsmethoden angewendet werden, denen der Patient oder die Patientin nicht zugestimmt hat, oder gar Operationen durchgeführt werden, die von der Einwilligung nicht abgedeckt sind, kann eine strafbare Körperverletzung oder gar strafbare Tötung vorliegen.
- Medikationsfehler: Wenn ein Arzt oder eine Ärztin fahrlässig ein ungeeignetes oder gar aufgrund einer bekannten Allergie unverträgliches Medikament verschreibt und dadurch eine Verletzung oder den Tod des Patienten oder der Patientin verursacht, kann dies unter bestimmten Bedingungen strafbar sein.
Strafrechtliche Konsequenzen für Mediziner
Bei ärztlichen Kunstfehlern sind am häufigsten Zivilverfahren zu befürchten, bei denen geschädigte Patienten und Patientinnen einen Schadenersatz oder Schmerzensgeld anstreben. In einigen Fällen kommt es aber auch zur Strafanzeige, insbesondere wenn Patienten oder Patientinnen zu Tode kommen und eine Schuld des Arztes oder der Ärztin vermutet wird. In vielen Fällen im Medizinstrafrecht ist die tatsächliche Sachlage allerdings sehr komplex und es ist nicht einfach, eine Schuld des Arztes oder der Ärztin zweifelsfrei zu belegen – es gilt allerdings im Strafrecht der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Deshalb kommt es in der Regel nur in Fällen schwerwiegender und unzweifelhafter Schuld des Arztes oder der Ärztin zu einer tatsächlichen Verurteilung. Besonders bei der Verteidigung durch erfahrene Medizinstrafrechtler und -strafrechtlerinnen enden die meisten Verfahren günstig für die Angeklagten. Kommt es aber zu einer Verurteilung, drohen empfindliche strafrechtliche Sanktionen in Form von Geld- oder Freiheitsstrafen:
- Fahrlässige Körperverletzung: Freiheitsstrafe bis 3 Jahre oder Geldstrafe (§ 229 StGB)
- Vorsätzliche Körperverletzung: Freiheitsstrafe bis 5 Jahre oder Geldstrafe (§ 223 StGB)
- Körperverletzung mit Todesfolge: Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahre, in minder schweren Fällen 1–10 Jahre (§ 227 StGB)
- Fahrlässige Tötung: Freiheitsstrafe bis 5 Jahre oder Geldstrafe (§ 222 StGB)
- Totschlag (vorsätzliche Tötung): Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahre (§ 212 StGB)
- Mord: lebenslange Freiheitsstrafe (§ 211 StGB)
Darüber hinaus ist möglicherweise die Approbation bedroht. Eine strafrechtliche Verurteilung hat Einträge ins Führungszeugnis zur Folge, die sogar den Entzug der Approbation zur Folge haben können. Gemäß § 5 Bundesärzteordnung (BÄO), mit Bezug auf § 3 BÄO, kann die Zulassung entzogen werden, wenn der Arzt oder die Ärztin sich „eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt“. In der Regel kommt es allerdings zunächst dazu, dass die Approbation ruht. Für diese Entscheidung ist die Prognose entscheidend, ob der Arzt oder die Ärztin in Zukunft zuverlässig seine Tätigkeit ausüben wird oder ob von weiteren groben Kunstfehlern auszugehen ist. Ein einzelner Behandlungsfehler hat hier in der Regel noch keine dauerhaften Auswirkungen.
Verteidigungsstrategien und rechtliche Unterstützung
Werden Sie einer Straftat im Rahmen Ihrer ärztlichen Tätigkeit beschuldigt, sollten Sie insbesondere beachten, keine Aussagen zur Sache zu machen. Besprechen Sie den Fall und das weitere Vorgehen ausschließlich mit Ihrem Rechtsanwalt oder Ihrer Rechtsanwältin. Die erste Verteidigungsstrategie besteht in der Regel darin, dass angestrebt wird, ein Gerichtsverfahren durch eine rechtzeitige Einstellung des Ermittlungsverfahrens von vornherein zu vermeiden. Dies wirkt auch der Schädigung des Images durch ein solches Verfahren entgegen. Kommt es dennoch zu einem gerichtlichen Verfahren, kann eine Einstellung gegen Geldzahlung in Fällen mit minder schwerer Schuld eine Option sein. Dann erfolgt, anders als bei einer Verurteilung, kein Eintrag ins Führungszeugnis.
Bei der Verteidigung gegen strafrechtliche Vorwürfe rund um ärztliche Kunstfehler stehen vor allem der Nachweis der Einhaltung des Facharztstandards sowie der Nachweis, dass das ärztliche Handeln nicht ursächlich den Schaden verschuldet hat, im Vordergrund. In Zweifelsfällen zieht das Gericht Sachverständige hinzu und gibt Gutachten in Auftrag, welche die Pflichtverletzung des Angeklagten untersuchen. Mitunter kann es sinnvoll sein, ein eigenes Gegengutachten erstellen zu lassen. Auch in diesem Zusammenhang ist wichtig, dass Ihr Rechtsanwalt oder Ihre Rechtsanwältin Erfahrung im Medizinstrafrecht hat und sich mit den Besonderheiten solcher Verfahren auskennt.
Prävention und Risikomanagement im medizinischen Alltag
Ärztliche Kunstfehler können bei entsprechend nachweisbarer Schuld des Arztes oder der Ärztin sowohl privat als auch beruflich ruinöse Folgen haben. Umso wichtiger ist es, Sorgfalt walten zu lassen und Kunstfehler nach Möglichkeit zu vermeiden. Dies gilt für Untersuchungen und Behandlungen sowie auch für die sorgfältige Aufklärung und das Einholen der Einwilligung der Patienten und Patientinnen. Darüber hinaus können regelmäßige Fortbildungen, etablierte Maßnahmen zur Qualitätssicherung und eine offene Fehlerkultur dazu beitragen, ärztliche Kunstfehler zu reduzieren. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch, dass Ärzte und Ärztinnen unter Umständen auch die Sorgfaltspflicht verletzen, wenn sie bei mangelnder Erfahrung keinen Rat erfahrenerer Kollegen und Kolleginnen einholen oder aufgrund fehlender Fortbildungen nicht mit Behandlungsweisen oder Operationsmethoden vertraut sind, die dem aktuellen medizinischen Standard entsprechen.
Ebenfalls von großer Bedeutung für die Vorbeugung und Abwehr von Straftatvorwürfen sind die Themen Dokumentation und Kommunikation. Insbesondere bei fehlerträchtigen Untersuchungen kann eine intensive Dokumentation dazu beitragen, die Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflicht zu belegen. Darüber hinaus ist es wichtig, die Aufklärung und Einwilligung durch die Patienten und Patientinnen detailliert zu dokumentieren, um das entsprechende Einverständnis sowie das Wissen um mögliche Folgen im Nachhinein lückenlos nachweisen zu können. Die Kanzlei Hatlé & Westkamp mit jahrelanger Erfahrung im Medizinstrafrecht berät und vertritt Sie gerne.